Ihr habt mir Wörter, Ideen, Fragen, Stichwörter und konkrete Sätze auf Instagram geliefert. Die Screenshots findet ihr unten bei den Bildern. Aus all dem Input habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben. Viel Spaß beim Seele baumeln lassen:
Ich laufe durch die Winterlandschaft und höre den Schnee unter meinen Schuhen, mit Profil gegen die Rutschgefahr, unter mir knirschen. Das Laufen auf dem puderweichen Neuschnee ist wie das Betreten eines ganz neuen Weges. Die ersten Spuren hinterlasse ich ganz behutsam. Einige andere Spaziergänger nach mir werden sich ärgern, dass ich diesen Weg hier schon entdeckt habe und gegangen bin. Wieder andere werden sich freuen, dass jemand den Weg schon zurückgelegt hat und fühlen sich sicher, meinen Spuren zu folgen. Bestimmt gibt es auch diejenigen Spaziergänger, die einfach einen anderen Weg wählen und versuchen woanders die ersten Fußspuren zu hinterlassen.
Mich umgibt eine Stille, die friedlicher nicht sein könnte. Eigentlich bin ich nicht gerne alleine, sondern lieber in Gesellschaft, aber wenn der Schnee all die Geräusche absorbiert, dann genieße ich es, die Umgebung und mich selbst wahrzunehmen. Kurz denke ich darüber nach, mein Handy aus der Tasche zu zücken und ein Video von meinen Fußspuren zu machen. Ich entscheide mich dagegen. Den Moment möchte ich nicht teilen. Ich gehe den Weg schließlich für mich und nicht für andere. Oft habe ich schon darüber nachgedacht, das Teilen meines Lebens auf sozialen Medien komplett zu lassen. Immer wieder überkommt mich jedoch der Drang, mich mitteilen zu wollen. Ich bin selektiver geworden.
Es gibt meine Welt, es gibt eine Version von mir, die in der Gesellschaft funktioniert. Es gibt mein mediales Ich in der virtuellen Welt und in all diesen Welten fühle ich mich wohl und in mir gefestigt. Zu erkennen, dass ich verschiedene Varianten meiner Selbst leben kann, gibt mir einen Seelenfrieden. Früher dachte ich, in eine Schublade passen zu müssen, um verstanden und gemocht zu werden. Heute mag ich mich, weil ich mich in keine Kategorie einsperren lasse und bewusst jeden Charakterzug an mir schätze.
Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte, von dem schneeweißen Weg abgekommen zu sein. Das fehlende Knirschen unter meinen Schuhen holt mich zurück in den Trubel und die laute Welt. Ein Auto zischt an mir vorbei und die matschigen Schneereste fliegen in hohem Bogen auf meine Hose. Ein ungemütliches Gefühl steigt in mir hoch und ich höre meinen Magen knurren. Ein Verlangen nach einer warmen Mahlzeit durchdringt mich. Wie gern würde ich unbeschwert in einem Restaurant einkehren und mich bedienen lassen. Doch die Pandemie liegt in der Luft. In der frischen Winterluft treiben nicht nur die Schneeflocken wild umher, sondern auch ein nicht enden wollenden Virus. Im Gegenteil, dieses hat sich jetzt noch dazu entschieden zu mutieren.
Zwei andere Fußgänger wählen die gleiche Kreuzung wie ich und wir stehen mit 1,5m Abstand um die Ampel herum. Die Ampel schaltet auf Grün und wir überqueren die Hauptstraße in einem raschen Tempo. Es war mir ein Rätsel, wie ich von dem behüteten Gefühl in der Natur so schnell wieder zwischen Hektik und Kontrolle landen konnte. Das Knirschen unter den Schuhen ist auf einmal irrelevant, jetzt zählt nur, über die Straße zu kommen, bis die Ampel wieder aggressiv rot aufleuchtet. Von der anderen Seite kommen mir fünf Menschen entgegen. Ich vermute zumindest, dass sich hinter Maske, Mantel, Mütze und Schal ein Mensch mit Gesicht versteckt. Ich lächle den Passanten entgegen, aber keiner reagiert auf meine freundliche Emotion. Liegt es an der Maske oder daran, dass jeder einfach nur konzentriert seinem eigenen Weg nachgeht und nicht auf das Gegenüber acht gibt?
Manchmal frage ich mich, ob wir auf der Suche nach etwas Ungewissen sind oder ob wir ein bestimmtes Ziel vor Augen haben. Schreiten wir fokussiert voran oder irren wir orientierungslos daher? Schlussendlich ist es egal, solange wir in Bewegung bleiben. In meinem Kopf ermahne ich all die Straßenüberquerer telepathisch, dass wir auf gar keinen Fall stagnieren dürfen. Wenn wir stehenbleiben, sind wir der Kontrolle der Autofahrer ausgesetzt und das würde höchst wahrscheinlich tödlich enden. Eigentlich würde ich diese Warnung gerne lauthals rausschreien, doch früher wurde ich beim Reinrufen im Unterricht vor die Tür geschickt. Danach schwieg ich lieber, bis mir mein Ex-Freund oft sagte, dass ich zu leise wäre, dabei war er immer so laut, dass ich einfach überhört wurde. Seither weiß ich nicht mehr, wie ich Laut und Leise einordnen soll. Jeder hat eine Meinung dazu. Sind Städte laut und die Natur leise oder ist die Stille unerträglich laut?
Nun bin ich auf der anderen Straßenseite und weiß eigentlich nicht, was ich hier will. Ich überlege, ob ich umdrehen und nach einer neuen weißen Schneefläche suchen soll, in der ich meine Fußabdrücke hinterlassen kann. Mein Magen erinnert mich jedoch an mein Grundbedürfnis und ich denke wieder an das Essen. Eine gelbe Tafel mit leuchtender Schrift knallt in mein Auge und ich gehe auf den Supermarkt zu. Eine Schlange vor dem Supermarkt, des Abstands wegen. Supermärkte gleichen seit der Pandemie einer Geisterstadt. Alle rennen aufgescheucht und vermummt durch den Laden, um genug abzubekommen. Alle wollen schnell wieder raus, keiner will mehr Punkte oder Viren sammeln. Bis auf die Leugner und Einzelhandelanbeter, die sich durch einen Kaufrausch an Lebensmitteln lebendig fühlen und endlich wieder etwas zu tun haben.
Ich entscheide mich gegen den Supermarkt, denn ich bekomme schon beim Anblick ein Kratzen im Hals. Bloß nicht Husten, ermahne ich mich selbst. Es liegt nicht nur ein Virus in der Luft, sondern auch ein Ekel. Jeder scheint eine Gefahr dazustellen. Ich drehe mich blitzschnell um, um diesem Geschehen zu entkommen und knalle dabei voll in eine andere Person. „Mist, Bakterien, Viren, Entschuldigung, ich bin negativ getestet worden, vorgestern, und du, bitte sei jetzt nicht mein Erstkontakt“, stammle ich hysterisch und blicke in die strahlend grünen Augen des jungen Herren, der seine Maske lässig unter der Nase trägt. Er grinst so breit, dass ich das schelmische Lachen sogar unter der Mundbedeckung erkennen kann.
„Erkennst du mich nicht?“
„Wie, was, wen? Entschuldige, ich erkenne seit dieser Maskenuniform selten jemanden.“
„Du läufst eben immer noch verträumt durchs Leben. 12. Klasse, dein Nebensitzer in Mathe.“
Ich muss schlucken, denn Nick war damals mein heimlicher Schwarm. Von ihm habe ich mir die Kurvendiskussion erklären lassen, da hatte ich schon längst eine Tangentengleichung über unser Leben aufgestellt. Er x Ich + Kinder = Friede Freude Eierkuchen. Leider trennten sich unsere Wege nach dem Abitur und Nick hatte wenig übrig für soziale Netzwerke, so dass ich ihn weder stalken noch mit ihm in Kontakt bleiben konnte. Der Smalltalk auf dem Gehsteig wird schnell zu einem tiefgründigen Austausch und ich frage ihn, ob er auch so einen Hunger und etwas Zeit übrig habe. Zwei Straßen weiter war eine Döner/Pizzabude, das Stammlokal aus der Jugend, wenn es nach der Disko noch einen Wieder-Nüchtern-Werden-Snack geben sollte, bevor man das Haus der Eltern betrat.
Mehr Glamour gab es damals auf dem Dorf nicht und die Pandemie soll uns ja schließlich wieder erden und zu unseren Wurzeln zurückführen. In meinem jugendlichen Leichtsinn hätte ich Salami bestellt, heute nehme ich lieber die Gemüsepizza und eine Portion Pommes mit Mayo zum Teilen. Ich fragte nach, ob die Mayo vegan sei und ernte zwei schräge Blicke. Nick bestellt wie damals Schinken mit Pilzen, er ist wohl der Rebell oder gerade wegen seiner leicht ignoranten Arroganz unglaublich attraktiv geblieben.
Wir kommen nicht um das Thema herum, wie man wohl in Zukunft miteinander umgehen würde. Hätten wir uns nicht gekannt, wäre Nick sauer gewesen, dass ich so unvorsichtig meiner Wege gehe und in ihn reinrenne. Für Tollpatschige oder Vergessliche ist diese Pandemie wirklich nichts. Aber unterm Strich sind alle eigentlich nur noch auf der Suche nach ihrem Leben. Nick und ich versacken in der Pizzabude bis Giovanni uns wegen der Sperrspunde zum Gehen bittet. Wir verabreden uns für den kommenden Tag. Zum Abschied umarmen wir uns. Ich stapfe durch den Schneematsch zurück und hatte trotz des großen Chaos einen Tag voller kleiner Momente, die in meiner Welt großen Eindruck hinterlassen haben.
Die ist richtig richtig toll geworden – wow! ❤️